Mein erstes Mal mit Adobe Fresco
Endlich ist es soweit: Was zunächst als „Projekt Gemini“ begann, heißt nun Adobe Fresco und ist seit September als App fürs iPad verfügbar. Nachdem wir monatelang heiß gemacht wurden von dem Unternehmen aus San José, kann man als Creative Cloud Abonnent die App nun kostenfrei installieren. Für Abo-Verweigerer werden wohl monatlich Kosten fällig werden. Aber dazu später mehr. Jetzt gehts erst mal ans Eingemachte: An den Pen, fertig… los!

Adobe Fresco gibt es jetzt endlich für das iPad.
Erste Schritte
Installiert ist die App sehr schnell und als CC-Abonnent habe ich mich auch schnell eingeloggt. Das Startmenü ist übersichtlich gestaltet, erinnert von der Oberfläche an die anderen Adobe Produkte. Man findet sich schnell zurecht. Zum Anlegen eines neuen Dokuments kann man entweder eine vordefinierte Größe auswählen oder eine eigene Größe angeben. Ich starte mit einem Dokument von 2100 x 2100 Pixel.
Die Oberfläche
Was mir an dieser Stelle nicht so gut gefällt, ist die helle Oberfläche des Programms. In den App-Einstellungen kann man diese schnell auf das dunkle Color-Thema einstellen (App-Einstellungen/Allgemein/Benutzeroberfläche/Color-Thema). Startet man mit der Bearbeitung und öffnet ein Dokument, so hat es bereits eine weiße Arbeitsfläche. Das Menü erinnert auch hier an die anderen Adobe-Produkte und geübte Photoshop-User werden sich hier schnell zurechtfinden.
Die Pinsel
Links an der Leiste sind drei verschiedene Arten von Pinseln: Pixelpinsel, Interaktive Pinsel und der Vektor Pinsel. Die einzelnen Pinsel sind innerhalb des Werkzeugs nach ihrer Art gruppiert, z. B. die Pixelpinsel nach Comic, Malerei, Standard etc. Es gibt auch die Möglichkeit, eigene Pinsel zu erstellen oder Pinsel aus der Adobe Cloud zu laden. Die Pixelpinsel sind, wie der Name schon sagt, pixelbasiert und verhalten sich ähnlich wie die Pinsel in Photoshop.
Die Vektorpinsel basieren auf Vektoren, also Pfaden und Kurven, sind in der Handhabung allerdings genau wie die Pixelpinsel. Es gibt kein Pfadwerkzeug zum erstellen der Vektorinhalte. In meinen Augen ein ziemlich cooles Feature. Allerdings wird man für die Erstellung von Logos etc. auf den großen Bruder Illustrator zurückgreifen. Hier werden fürs genaue Bearbeiten einfach mehr Funktionen geboten. Bei den Vektorpinseln gibt es keine Möglichkeit, eigene zu erstellen. Wer die Vektoren in Illustrator bearbeiten möchte, muss den Export über PDF-Dateien wählen und diese dann in Illustrator öffnen. Wirklich interessant wird es aber bei den interaktiven Pinseln. Hier stehen Öl- und Aquarellpinsel zur Auswahl und – hold my pen – die sind wirklich richtig gut!

Die Oberfläche von Adobe Fresco: Helles und Dunkles Color-Thema im Vergleich.
Wie in echt nur besser
Die interaktiven Aquarell- und Ölpinsel verhalten sich tatsächlich wie die analogen Originale! Besonders die Aquarellfarben verlaufen ineinander und lassen sich mit mehrmaligem Auftrag intensivieren. Man hat sogar die Möglichkeit, den Wasseranteil zu regeln. Möchte man das starke Ineinanderlaufen unterbinden, muss man die Ebene manuell „trocknen“. Das Verhalten dieser Pinsel ist wirklich originalgetreu, nur nicht so nass und ohne das lästiges Pinselwaschen. Es macht sehr viel Spaß, sich daran zu probieren. Tatsächlich ist das mein Lieblingsfeature an Adobe Fresco und ich habe so etwas bei noch keiner anderen Software oder App erlebt.

Links eine schnelle Skizze mit Ölpinsel, rechts mit Aquarellpinsel.
Was es sonst noch gibt
Die weiteren Werkzeuge sind weniger spektakulär. Es gibt Standard-Werkzeuge mit denen radiert, Objekte verschoben und eine Auswahl getroffen werden kann. Zusätzlich gibt es ein Füllwerkzeug und eine Pipette zur Farbauswahl. Außerdem lassen sich Fotos direkt mittels Kamera oder Gerät selbst importieren. Selbstverständlich fragt Adobe Fresco hier beim ersten Nutzen nach der Zugriffserlaubnis. Diese Funktionen sind somit eher Standard und nichts besonderes. Zum Radier-Werkzeug muss allerdings noch gesagt werden, dass nur Größe und Fluss geändert werden können, nicht aber die Form. Wer also zum Beispiel mit einem Tuschepinsel gezeichnet hat und auch damit radieren möchte, der muss dazu die kleine runde Schaltfläche gedrückt halten, die auf der Arbeitsfläche zu sehen ist. Mit einem Doppelklick darauf rastet das Werkzeug ein und man muss den Button zum Radieren nicht manuell gedrückt halten.
Neben dem Farbrad gibt es Farbeinstellungen zur Regelung der Deckkraft und des Farbraums (RGB- und HSB-Regler). Außerdem werden die zuletzt verwendeten Farben automatisch gespeichert und angezeigt. Bei den Pixel- und Interaktivpinseln lassen sich Größe und Fluss mittels Regler einstellen, bei den Vektorpinseln Größe und Glättung. Außerdem verfügen alle Pinsel über Pinseleinstellungen, wo beispielsweise Füllmethode, Eigenschaften und Druckdynamik eingestellt werden können.

Die Ebenenleiste in Adobe Fresco mit gruppierten Ebenen (oben ausgeblendet, unten sichtbar).
Auf der rechten Seite befinden sich die Ansicht der Ebenen und deren Einstellungsmöglichkeiten. Die Ebenen können ausgeblendet, dupliziert, maskiert, gesperrt und gelöscht werden. Außerdem lässt sich die Füllmethode auch auf die gesamte Ebene einstellen. Wer mehrere Ebenen gruppieren möchte, kann das tun, indem er eine Ebene per drag and drop auf eine andere Ebene zieht. Auf diese Weise können Ebenen auch verschoben und neu angeordnet werden. Per Doppelklick lässt sich die Gruppierung öffnen und die einzelnen Ebenen können bearbeitet werden. Die kleinen Icons zeigen an, ob es sich um eine Vektor- oder Pixelebene handelt.
Oben in der Leiste befinden sich Funktionen für den Export, Dokumenteneinstellungen, eine Hilfe sowie das Widerrufen der letzten Aktion. Dies ist auch mittels Gestensteuerung möglich (mit zwei Fingern auf die Arbeitsfläche tippen, mit drei Fingern um die Aktion Wiederherzustellen).

Eine weitere, schnelle Aquarellskizze. Die Schrift ist eine separete Ebene mit Tuschepinsel. Für die Blätter wurden die Ebeneninhalte maskiert.
Was ist so toll an Adobe Fresco?
Nachdem ich mich etwas eingehender mit Fresco beschäftigt habe, habe ich einige Funktionen entdeckt, die mich begeistern und die ich als gut gelungen einstufen würde:
- Zunächst die Interaktiven Pinsel, vor allem die Aquarellpinsel. Sie verhalten sich fast wirklich wie echte Wasserfarben, verlaufen ineinander und man kann tolle Mischeffekte damit erzeugen. Gerade für unterwegs, wenn sonst alles nass wird beim Aquarellieren. Die Ölpinsel sind auch gut, aber nicht ganz so genial wie die Aquarellpinsel. Das Ergebnis mit den Ölpinseln unterscheidet sich nicht so sehr von denen anderer Kreativ-Apps.
- Ich finde es auch ganz gut, dass man Pinsel als Favoriten in eine Schnellauswahl legen kann. So muss man nicht immer die ganzen Liste durchforsten, wenn man seinen Lieblingspinsel sucht.
- Der illustrative Stil, der beim Malen entsteht, sieht gut aus. Es hat tatsächlich alles was von „richtigem“ Malen.
Ich würde gerne noch ein paar mehr positive Punkte auflisten, aber mir fallen keine mehr ein. Die aktuell verfügbaren Funktionen sind solide, aber nicht sonderlich bahnbrechend. Es gibt bereits andere, sehr gute Kreativ-Programme am Markt. Hier hat Adobe lange Zeit geschlafen. Mit Fresco überholen sie die anderen nicht, sie sind erst auf die richtige Spur aufgefahren.
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass Fresco eine App für Illustratoren ist. Es wurde explizit fürs Zeichnen und digitale Malen entwickelt. Fresco ist NICHT die Photoshop-Version fürs Tablet. Wer das erwartet, wird mit dieser App nicht glücklich werden.

Die Farbauswahl kann auch von der linken Leiste gelöst und auf der Arbeitsfläche platziert werden.
Wo muss Fresco noch besser werden?
Kommen wir also zu den Dingen, wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Im Hauptmenü gibt es eine „Demnächst in Fresco“ Kategorie. Dort wird erklärt, welche Funktionen geplant sind. Dazu zählen Schnittmasken, Formen und Linien und symmetrisches Zeichnen. Besonders auf die Schnittmasken freue ich mich, denn diese sind für mich beim Schattieren und Strukturieren besonders wichtig. Was ich mir sonst noch wünsche:
- Farbpaletten. Die zuletzt genutzten Farben werden gespeichert, allerdings gilt dies pro Dokument. Vordefinierte Farbpaletten oder gar die Integration der Adobe Bibliotheken gibt es nicht. Die von Adobe angekündigten Farbdesigns- und Paletten gehören für mich aber zur Grundausstattung.
- Farben verwischen und vermischen geht aktuell, soweit ich weiß, nur mit dem Aquarellstift. Wenn man Verläufe generieren möchte, die auf Pixelpinsel basieren, muss man also einen Workaround über die Aquarellstifte machen (Deckkraft auf 0 setzen). Das ergibt aber nicht immer den gewünschten Effekt. Sehr schade.
- Stichwort Effekt. Es gibt noch keine Effekte wie den Gaußschen Weichzeichner oder das Anpassen von Helligkeit, Sättigung und Farbton.
- Die Ebenen können nicht benannt werden und es gibt auch keine Möglichkeit, sie farblich zu kennzeichnen. Gerade bei großen Werken mit vielen Ebenen ist die Miniaturansicht der Ebenen oft nicht übersichtlich genug.
Ich hoffe, dass sich die Adobe Entwickler bald dieser Themen annehmen und wir auf die nächste Version nicht so lange warten müssen. Gefühlt ist es noch eine Beta Version, mit der man es hier zu tun hat. Noch ist die App kostenlos, dies wird sich aber für Nicht-Abonnenten ändern. Dann fallen monatliche Kosten an und ob es das Wert ist, muss jeder für sich entscheiden.
Mein Fazit
Man neigt natürlich dazu, Fresco mit der beliebten Procreate App zu vergleichen. Tatsächlich ist diese nach heutigem Stand wesentlich ausgereifter, zumal uns demnächst bereits die Version 5.0 erwartet, die noch mehr neue Features beinhalten soll. Ja, ich benutze diese App auch, sehr gerne sogar und bereits seit fast 2 Jahren. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als es auch hier keine einblendbare Zeichenhilfe in Form eines Rasters gab und man diese selbst entweder mit dem Gitternetzpinsel einzeichnen oder ein entsprechendes Raster als Bild einfügen musste. Aber seither ist dort viel passiert und das für sehr wenig Geld des Users. Hinter Procreate steht eine andere Maschinerie als hinter Fresco und genau das ist der Punkt, weshalb viele enttäuscht davon sind. Andere Kreativ-Apps haben hier vorgelegt. Die Zielgruppe der „Digital Creatives“ hat sich von Adobe schlicht und einfach mehr erhofft. So kam am Ende eine gute App raus, die aber nicht durch ihre positiven Eigenschaften herausragt, sondern eher mit der Preispolitik abschreckt. Als Creative Cloud Abonnent bin ich aber gespannt auf die nächsten Versionen und hoffe, dass ich doch noch von Fresco überzeugt werden kann.
Hast du schon mit Adobe Fresco gearbeitet? Wie ist dein Eindruck? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen
HERBERGER
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© 2023 Veronika Herberger, Design & Creative Works
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